DotA 2
Manche behaupten, DotA 2 hätte eine besonders steile Lernkurve. Andere sprechen gar von einer Lernklippe, so gefährlich, dass nur die Mutigsten und Ausdauerndsten sie bezwingen können. Doch die Wahrheit neigt dazu, alle Fantasie zu übertrumpfen. DotA 2 ist weder Kurve noch Klippe — es ist eine Festung! Eine Bastion, auf deren zinnenbewehrten Mauern eine ganze Armee darauf wartet, Pfeile des Hasses und der Verachtung auf jeden niederregnen zu lassen, der es wagt sich ihr zu nähern.
„FU noob!“, schallt es im Chore.
Das erinnert an die goldene Ära des PC-Gamings, als Informatikräume heimlich mit Counter-Strike und Blobby Volley infiziert wurden und als es eines Initiationsritus bedurfte, um Zugang zu diesen Spielen zu erlangen. Niemand versteht DotA, nur weil er schon einmal Warcraft 3 gespielt hat. Nein, du benötigst jemanden, der sich auskennt, der dich in die geheime Gesellschaft einführt, der für dich bürgt und dafür sorgt, dass du dich nicht vollständig blamierst. Du brauchst jemanden, der dir erklärt, was eine bottom lane ist, welches Gewicht ein hard carry auf seinen Schultern trägt und wo die besten ward spots sind.
Dass man eine Einladung benötigt, um die Betaversion von DotA 2 zu spielen, könnte also treffender nicht sein. Auch wenn es kein Problem ist, einen jener Beta-Codes zu ergattern — und noch 20 weitere für deine Freunde, deinen Hund und deine Badezimmerwand -– es bleibt der Geruch des Elitären. Du bist der Auserwählte, das neue Mitglied im Fight Club. Eines von Millionen, denn DotA dürfte neben Counter-Strike und StarCraft zu den wenigen PC-Spielen gehören, um die so etwas wie eine langjährige Sportkultur entstanden ist. Ligen, Weltmeisterschaften, Livestreams und Lokalhelden — DotA ist groß und wer noch nicht davon gehört hat, der ist zumindest über seine Schwester League of Legends gestolpert.
DotA entstand ursprünglich als Fan-Modifikation für Warcraft 3, hieß anfangs noch Defense of the Ancients, wurde unter anderem zu DotA Allstars weiterentwickelt und schließlich von Valve seiner Warcraft-Wurzeln entrissen und in ein kommerzielles Spiel überführt: DotA 2. Dazwischen gab es zahlreiche populäre Ableger wie League of Legends und Heroes of Newerth. Das gesamte Genre wurde durch DotA begründet, eines das angeblich auf den Namen MOBA (Multiplayer Online Battle Arena) hört. Es dürfte der mit Abstand lächerlichste Name sein, den je ein Spielegenre erhalten hat.
Der Erfolg von DotA und seinen Geschwistern ist dabei leicht zu erklären, denn sie machen das einzig Richtige: Sie werfen den langatmigen, unübersichtlichen Überbau des Muttergenres fort und konzentrieren sich auf das, was Spaß macht. Garfield minus Garfield. Echtzeitstrategie ohne Schnickschnack, ohne Basisbau, Ressourcenmanagement oder Massenschlachten. Eine radikale Reduktion, die den Einstieg ins Spiel unglaublich erleichtert.
Wer nicht zu den Auserwählten gehört, die rechtzeitig in DotA oder League of Legends eingeführt wurden, dem sei hier das grobe Spielprinzip erläutert. Es geht um die dicke Linie im Logo, um einen namenlosen Fluss, der aus unbekannten Gründen die Grenze zwischen zwischen den spiegelbildlichen Ländereien der Radiant und Dire bildet. Automatisierten Truppenverbände versuchen, die jeweils feindlichen Befestigungen zu erstürmen und den Ancient des Gegners, die kleinen Vierecke im Logo, zu zerstören. Da die Truppen gleich stark sind, gibt es eine Patt-Situation, so lange bis die Spieler mit ihren Helden eingreifen. Jeder Spieler wählt zu Beginn aus einem Pool von etwa 100 unterschiedlichen Figuren einen Helden aus, fünf Helden pro Team, zehn Spieler insgesamt. Sie versuchen, die Schlacht zu ihren Gunsten zu verschieben, indem sie die gegnerischen Truppen und die gegnerischen Helden entsprechend bekämpfen. Monster niederstrecken, Level aufsteigen, magische Gegenstände kaufen und Feuerbälle um sich werfen. Das klingt bekannt, machbar und verdächtig einfach — alles was rot und böse ist zu Tode klicken, wie in jedem anderen Videospiel auch. Doch dann schlägt die Falle zu! Denn wenn man seinen Instinkten folgt, bekommt man einen jener Pfeile zwischen die Augen:
„learn lasthitting noob!“
„FU noob!“
Lasthitting — das ist das erste, was man als angehender DotA 2-Spieler verstehen muss, wenn man die Komplexität hinter der Fassade entdeckt. Es ist die Überwindung jener Reflexe, die einem jahrelang im Kampf gegen Goombas und Space Invaders antrainiert wurden. „Mach kaputt was Dich kaputt macht“. Nicht so in DotA. Was da an kleinen Monstern auf dich zuläuft und die eigenen Truppen angreift, das klickst du nicht an, nein! Du wartest auf den richtigen Moment, denn nur wenn dein Schlag der letzte ist der das Monster trifft, bevor es umfällt, bekommst du das lebenswichtige Extra-Gold.
„stop stealing my farm noob!“
„FU noob!“
Doch halt! Selbst wenn du zur rechten Zeit geklickt hast, stehen die Chancen gut, dass du deinem Team den Sieg vermasselst. Nicht jede Heldenfigur ist gleich bedeutsam und je nach Strategie kann es entscheidend sein, dass der richtige Spieler mit der richtigen Figur den letzten Schlag ausführt. Welche Helden man zu Spielbeginn wählt, um ein optimales Team zusammenzustellen, ist eine Wissenschaft für sich. Ebenso bedeutsam ist die Zuweisung der Helden auf die richtigen Lanes, die Wege auf denen die automatisierten Monster in ihr Verderben rennen. Klar, dass Du immer der oder diejenige bist, die mit dem falschen Helden auf der falschen Lane auf die falschen roten Dinge klickt.
„stop pushing the lane noob!“
„FU noob!“
Anschauungsstunde!
Wir probieren das mit dem lasthit jetzt einmal aus. Folgendes YouTube-Video wirst du nicht anklicken. Auch wenn du bisher noch jedes dahergelinkte Video angeklickt hast, lass dir gesagt sein: Tu es nicht. Es ist nicht gut für dich. Es ist fürchterlich. Und schlimm. Nicht klicken, nein, unterdrücke den Reflex.
Bonusrunde!
Auch dieses Video solltest du nicht anklicken! Wirklich nicht.
Natürlich, die Lasthit-Mechanik ist gutes Spieldesign. Sie erfordert selbst in der Anfangsphase volle Konzentration und gibt einem viele kleine Erfolgsmomente. Ein erfolgreicher Lasthit gibt nicht nur Gold — mehr Gold, mehr magische Gegenstände, mehr gut — sondern auch diesen wunderschönen Klingeling-Sound: Klingeling. Doch in einer Situation, in der sich das Team auf jeden einzelnen verlassen muss, sorgt sie vor allem dafür, dass der Neue im Club scheitert. Kein stilles Scheitern, nein, ein spektakuläres, das die Gegner gnadenlos ausnutzen und die eigenen Linien bersten lässt. Das Kräftegleichgewicht von fünf gegen fümf verschiebt sich zu etwas, das bestenfalls vier gegen neun entspricht — nur weil du zu schnell zu viele rote Dinge angeklickt hast.
Oder weil du die Figur wegen der hübschen roten Haare gewählt hast.
Oder weil du es einfach nicht drauf hast.
Oder weil du das Kyrillisch der Mitspieler nicht verstehst (Spoiler: Sie schreiben „FU noob!“)
Man kann sich einreden, das sei nach ein paar Spielen erledigt, Lernkurve eben: Man versteht Lasthitting. Man versteht die Eigenheiten der Karte. Man lernt, wie man unsichtbare Gegner aufspürt. Man ignoriert die Idioten und so weiter.
Aber auch nach 50 Spielen wird man noch von grellen Magieeffekten aus den Latschen geschossen, von unbekannten Helden abserviert und von Positionen aus angegriffen, die einem unerreichbar scheinen. Selbst ein Sieg liefert neue Fragen, statt erhoffter Antworten. War der Fleischklops mit der Hakenhand im letzten Spiel nicht unaufhaltbar? Welche Zaubersprüche beherrscht der grüne Held? Warum bin ich ein Schweinchen? Warum schimpfen im Chat schon wieder alle? Haben wir gewonnen? Und der verdammte Techno-Song geht mir auch nicht aus dem Kopf! HILFE!
Man sollte so fair sein zu erwähnen, dass es sich bei DotA 2 um eine Betaversion handelt. Dinge sind halbfertig und große Features der direkten Konkurrenz — etwa Ranglisten oder schnellere Spielmodi — fehlen. Dass man in einem langen Betaleben immer noch kein einziges Tutorial ins Spiel integriert hat, sollte einem ebenfalls zu denken geben. Neue Helden, E-Sport und bunte Hüte — und Kisten mit bunten Hüten und kostenpflichtige Schlüssel für Kisten mit bunten Hüten — haben offenbar Priorität. Tutorials und Tutor-Modi werden kommen, irgendwann. Aber ob sie DotA 2 wirklich transparenter machen? Ich würde es schon begrüßen, wenn einem das Spiel sein Basisvokabular ohne den Verweis auf YouTube erklären könnte. Schön zu wissen, dass kleine Icons den Sand King als „Initiator – Disabler – Nuker“ ausweisen. Aber was ist ein Initiator – Disabler – Nuker – und viel wichtiger, will ich das haben?
Warum also spielen, wenn das alles so furchtbar anstrengend klingt? Kein Durchblick nach 50 Stunden auf dem Zeitkonto, kontra-intuitive Konzepte, Fallen und Beleidigungen aller Art — man könnte seinen Abend sicher gemütlicher verbringen.
Was abschreckend ist, ist jedoch gleichsam motivierend. So motivierend, dass es dich auch dann erwischt, wenn du dem Genre mit grundsätzlichem Misstrauen begegnest. „Free-to-play-Quatsch kann einfach nicht gut sein,“ sagst du. Doch, er kann.
Mit jedem Spiel lernt man dazu, entdeckt Feinheiten, für die man zuvor kein Auge hatte. Man probiert verschiedene Helden, entwickelt Abneigungen und Favoriten. Man unterscheidet Spielphasen und welche Helden welche Aufgaben im Team erfüllen können. Man gewöhnt sich an Dota 2 und lernt es irgendwann zu schätzen. Ja, man will einen Initiator – Disabler – Nuker, manchmal.
Dazu der sportliche Charakter: Es gibt eine ausgeprägte Kommentatoren-Szene, die Dota-Turniere in unterhaltsame Events verwandelt. Mitfiebern wenn die Besten der Besten der Besten ihre Kräfte messen und erkennen, dass auch Superprofis nicht vor Anfängerfehlern gefeilt sind. Apropos Anfängerfehler: In nahezu jedes laufende Spiel kann man als Zuschauer springen. Zusehen wie die Superlevel-Kollegen und -Kolleginnen vom dahergelaufenen Mob vertrimmt werden? Kein Problem.
Die beste Eigenschaft von DotA 2 dürfte jedoch, wie bei so vielen Multiplayerspielen, der soziale Aspekt sein. Zwischen zehn Menschen entwickelt sich immer eine interessante Dynamik, seien es unterhaltsame Wortgefechte, Wut auf denjenigen, der dich zum siebten mal auf den Friedhof befördert hat, oder Dankbarkeit, wenn dir deine Mitstreiter in letzter Sekunde zur Hilfe eilen. DotA 2 erzeugt viele tolle Momente und gutes Teamplay wird gnadenlos belohnt. Wer auf Beleidigungen nicht mit Ironie reagieren kann, der sollte sich allerdings ein paar Freunde oder Twitterbekannte mitbringen, um das Niveau im Chat auch dann noch erträglich zu gestalten, wenn man wieder einmal ganz fürchterlich versagt. Wenn du allein losziehst gilt:
Von den neun anderen Spielern und Spielerinnen ist immer einer schlechter als du. Einer, dem du die Schuld an dem ganzen Schlamassel zuschieben kannst.
„FU noob!“
Dota 2 ist Free-to-play. Das nette Free-to-play mit den bunten Hüten. Beta-Zugänge schenkt euch der Betreiber dieses Steam-Bots, wenn ihr ihn lieb danach fragt.