Blast from the Past: Lufia
Lufia ist zwar nicht das erste Videospiel, dass ich in meiner Kindheit spielen durfte, aber dafür das einzige Spiel, bei dem meine traurigen Erinnerungen sehr stark mit den glücklichen ringen. Freude, Innigkeit und Sympathie trafen auf Trauer, Wut und Unverständnis. Meine Geschichte mit Lufia ist von Verlusten geprägt; den größten davon erlitt ich bereits, bevor ich überhaupt wusste, wie sehr ich mich einmal in das Spiel verlieben werde.
Ich bekam Lufia 2: Rise of the Sinistrals – in Europa war es lediglich als Lufia bekannt, da der erste Teil der Saga hierzulande nicht veröffentlicht wurde – damals von meiner Tante geschenkt, die sich zusammen mit meiner Oma stolz auf die Schulter klopfen darf, dass sie mir so gut das Thema Videospiele nahegebracht haben. In einer großen Box überreichte sie mir das Modul für den Super Nintendo mitsamt Spieleberater. Lufia offenbarte sich mir schnell als ein Rollenspiel mit dem typischen rundenbasiertem Kampfsystem: Man konnte bis zu vier Teilnehmer in einer Party haben und hatte die Wahl zwischen diversen Zaubern, Items oder Nahkampfattacken. Außerdem ließen sich noch die sogenannten Kapselmonster auftreiben, die dann munter im Kampf mitgemischt haben – so durchstreifte Lufia stets ein prähistorischer Hauch von Pokémon.
Aber das Timing hätte schlechter nicht sein können. Ich spielte Lufia höchstens zwei Stunden und das war es dann auch schon wieder. Schließlich kamen der Nintendo 64 und Mario Kart 64 im Frühjahr 1997 auf den Markt und waren fortan das wichtigste Gesprächsthema auf dem Pausenhof (und selbst noch flüsternd im Unterricht). Mir war klar, dass ich ihn unbedingt haben musste, koste es, was es wolle. Tatsächlich kostete es mich verdammt viel, denn ich beging daraufhin den größten Fehler meiner persönlichen Videospielgeschichte. Ich tauschte meinen Super Nintendo sowie rund 20 Spiele bei einem Gebrauchthändler gegen einen Nintendo 64, einen Controller und Mario Kart 64 ein.
Aus unerfindlichen Gründen kam mir damals leider nicht in den Sinn, wie dumm es eigentlich ist, ein Partyspiel wie Mario Kart 64 mit nur einem Controller zu besitzen. Wochenlang kämpfte ich mich mehrmals durch jeden Schwierigkeitsgrad, errang überall Gold und begann im Time Trial-Modus meine eigenen Bestzeiten zu schlagen. So schnell wie der Spaß gekommen war, verflog er wieder. Ich sehnte mich nach Yoshi’s Island, Aladdin, Plok – und ja, auch nach Lufia.
Über Monate hinweg sparte ich mein Taschengeld, mähte Rasen bei den Nachbarn und verteilte Werbeprospekte für den Supermarkt um die Ecke. Mit meinem prall gefüllten Portemonnaie fuhr ich von Flohmarkt zu Flohmarkt, bis ich fix einen Super Nintendo inklusive Lufia ergattern konnte. Als großer Fan von Terranigma und Secret of Mana hatte ich hohe Erwartungen an das Spiel und wurde auch nicht enttäuscht. Lufia ist ein klassisches RPG mit einem wirklich perfektem Soundtrack, einem fair ausbalanciertem Kampfsystem und knackig schweren Rätseln. Eine Besonderheit war, dass sich die Gegner in den Dungeons nur bewegt haben, wenn man selbst mit dem Hauptcharakter, dem Dämonenjäger Maxim, die Position gewechselt hat. Bei niedriger Gesundheit konnte man so mit ein bisschen Geschick auch Kämpfen ausweichen. Zu einer Zeit, in der schlechte Internetverbindungen vorherrschten und das Club Nintendo-Magazin als einzige Informationsquelle diente, war es allerdings gar nicht so einfach, dieses Spiel durchzuspielen. Mein Schulenglisch war zwar okay, doch die Rätsel machten mir wirklich zu schaffen. An manchen Stellen hing ich wochenlang fest – bei einem Puzzle geriet ich derart in Verzweifelung, dass ich die Nintendo-Hotline anrufen musste.
Eigentlich hätte von hier an alles gut laufen können in meinem Videospielleben, doch ich ahnte nicht, dass sich der nächste Verlust schon anbahnen sollte. Meine Schwester war damals mit einem furchtbar unsympathischen Kerl zusammen, der bei mir in Sachen Lufia aber leider einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat. Im Schwerttempel musste ich gegen zwei Clowns antreten. Das Problem dabei war, dass sobald man einen besiegt hatte, ihn sein Bruder wiederbelebte. Man muss also seine Party aufteilen und zwei Kämpfe bestreiten; war ja schon zu viert nicht schwer genug… Bei einer Niederlage musste man zudem wieder ganz von vorne beginnen und die Kämpfe in Lufia sind gelinde gesagt zeitintensiv.
Endlich war ich beim letzten Kampf angelangt. Leider war auch der Freund meiner Schwester im Raum und versuchte mich in irgendwelche Gespräche über aufgemotzte Autos zu verwickeln. Ich war sichtlich desinteressiert und versuchte ihm daraufhin zu erklären, wie wichtig dieser Kampf gerade für mich sei. Er war jedoch so ignorant, dass er Videospiele als lächerlichen Kinderkram abtat.
Nach Stunden und einer Vielzahl von Niederlagen hatte ich es endlich geschafft und die beiden Endbosse besiegt. Da stand plötzlich dieses klägliche Abbild eines italienischen Klempners auf, ging zur geliebten Konsole und fragte mich, was wohl passiert, wenn er jetzt auf Reset drücken würde – was er natürlich im gleichen Moment tat. Mit Wuttränen in den Augen fing ich an ihn mit meinen kleinen Fäusten zu malträtieren. Er kam mit seiner niederträchtigen Tat natürlich ungeschoren davon und alles was ich bekam war Stubenarrest sowie Nintendo-Verbot. (Glücklicherweise beendete meine Schwester ein paar Wochen später die Beziehung.)
Es war nicht das letzte Mal, dass ich wegen diesem Spiel Tränen vergossen habe. Die Geschichte rund um den Dämonenjäger Maxim, der von einer seltsamen Fremden den Auftrag bekommt das sagenumwobene Lufia-Schwert zu finden, um damit die vier Höllenfürsten, die die Erde zerstören wollen, zu besiegen, ist die einprägsamste und von so vielen Emotionen begleitende Geschichte, die mir ein Videospiel bisher vermitteln konnte. Außerdem ist sie genauso lang und liebevoll verworren wie der letzte Satz.
Mehrere hundert Stunden lang kann man sich in diesem Spiel verlieren. Selbst wenn man irgendwann den Hauptstrang der Geschichte komplett erlebt hat, kann man noch viel Zeit in Lufia investieren. So lässt sich auf der Schicksalsinsel die sogenannte Ahnenhöhle – ein 100 Stockwerke tiefer Dungeon, in dem an jeder Ecke Kämpfe auf den geneigten Spieler warten – finden. Der Clou: Sobald man die Höhle betritt, werden die Charaktere auf Level 1 zurückgesetzt. Zusätzlich verliert man für die Dauer des Aufenthalts in der Höhle auch sämtliche Gegenstände aus dem Inventar. Da man in der Ahnenhöhle aber nicht speichern konnte, musste ich manchmal tagelang heimlich meinen Super Nintendo anlassen, um noch weiter an meinem Fortschritt arbeiten zu können.
Lufia ist ein Spiel, das ich bisher jedem meiner Videospielfreunde ans Herz gelegt habe. Es begleitet mich nun schon seit vielen Jahren und dürfte neben Ocarina of Time und Link’s Awakening das Spiel sein, welches ich am häufigsten durchgespielt habe. Maxim und seine vielzähligen Reisegefährten haben es wie in ihrer eigenen Geschichte geschafft mit mir erwachsen zu werden – das können ansonsten nur Harry Potter und Dragon Ball von sich behaupten.
Und weil dieser Artikel mit einem Verlust begann, soll er auch mit einem enden: Mario Kart 64, mein erstes Nintendo 64-Spiel und gleichzeitig das Eintauschobjekt für Lufia, weilt nicht mehr unter uns. Es existiert zwar noch in seiner physikalischen Form, aber es wurde seiner Seele beraubt. Ich wurde nämlich dazu überredet, es an ein mir entfernt bekanntes Pärchen für eine Party auszuleihen. Das hätte ich wahrscheinlich nie getan, wenn mir vorher klar gewesen wäre, dass es diese für eine unglaublich kluge Idee halten würden, auf ihrer Feier den internen Speicher zu löschen, damit sie selbst den Goldpokal bei einem Cup abstauben können. Meine Bestzeiten aus Kindertagen sind also dahin. So bleibt mir nur einerseits die Genugtuung, dass die Feiernden lediglich Silbertrophäen erreicht haben und andererseits das Wissen, dass ich nie wieder Spiele verleihen werde. Insbesondere nicht mein Herzstück Lufia.
In der Serie Blast from the Past berichten Superlevel-Autorinnen und -Autoren sowie geladene Gäste über prägende Spiele und Spielerlebnisse aus der Kindheit und Jugend.
Tim Hendrik Juhl spielt schon seit seiner Kindheit alles was ihm unter die Finger kommt. Mittlerweile kann man ihn dabei sogar auf seinem Twitch-Kanal beobachten, was ihm viel Freude bereitet. Ansonsten schreibt er als HerrJuhl nur Unsinn auf Twitter.