Branching Paths: Ein Blick in die japanische Indiegame-Szene

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Wie viele japanische Indiegames fallen euch spontan ein? Eins, vielleicht zwei? Während die Indieszene in den USA und Europa seit Jahren wächst, scheint Japan bei dieser Entwicklung keine tragende Rolle zu spielen. Dabei hat kein Land die Geschichte des Videospiels in den 80er- und 90er-Jahren so geprägt, wie der pazifische Inselstaat. Doch Nintendo und Sega verlieren heute zunehmend an Bedeutung, ohne dass junge Talente ihren Platz einnehmen würden. Und so droht Japan langsam aber sicher von der Map zu verschwinden.

Das ist die Ausgangssituation der Dokumentation Branching Paths. Regisseurin Anne Ferrero begab sich drei Jahre lang auf eine Reise durch Japan, pendelte zwischen Tokyo und Kyoto und besuchte die dortige Indieszene – beziehungsweise suchte sie. Denn eine wirklich offene Szene gibt es nicht. Ferrero hält sich dabei bis auf kurze Moderationen, die Zeit und Ort einordnen, im Hintergrund. Statt Schlussfolgerungen vorzugeben oder Stereotype zu bedienen, wirft sie lediglich einen neugierigen Blick auf die nahezu unsichtbaren J-Indies. Denn während die alte Garde um Inafune, Igarashi und Suzuki sich an Kickstarter wendet, sind die Kleinen weiter auf sich allein gestellt.

Es dauert eine halbe Stunde, bis in Branching Paths zum ersten mal Englisch gesprochen wird. Viele derer, die zu Wort kommen, emigrierten aus England, den USA oder Kanada nach Japan. Die gemachten Erfahrungen fließen in die Spiele ein, die in ihrer neuen Heimat entstehen. Devine Lu Linvega verarbeitet in Hiversaires die ihm unverständliche Schrift und Architektur, Lucas Popes Papers, Please ist von den zahlreichen Aufenthalten bei Flughafenbehörden inspiriert.

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Die migrierten Entwickler_innen bedienen sich nicht an der für sie fremden Umgebung, sondern bringen auch ein Selbstverständnis mit, das der japanischen Szene oft fehlt. Joseph White, besser bekannt als Lexaloffle, veranstaltet monatlich ein Treffen namens Picotachi. Das dem Berliner Talk & Play ähnelnde Meetup bringt Gamedesigner_innen zusammen, um Projekte präsentieren und Ideen austauschen zu können.

Während im Verlauf des Films immer mehr von ihnen zu Wort kommen, wird klar, dass es den J-Indies weder an Talent noch an Kreativität mangelt. Das Problem ist eher eines von fehlender Sichtbarkeit und ungeknüpften Netzwerken, aber auch das einer Kultur, die es einem kreativen Individuum schwer macht, sich selbst zu verwirklichen. Während Freiberuflichkeit, Startup-Gründung und Unternehmertum im Westen regelrecht glorifiziert werden, suchen sich viele japanische Programmierer_innen lieber einen sicheren Job und entwickeln Spiele ausschließlich als Hobby in ihrer Freizeit.

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Es ist der Moment, in dem Ojiro Fumoto erstmals auftritt, in dem sich eine Veränderung spüren lässt. Downwell ist international ein Hit, auch wenn viele nicht wissen, dass sein hinter dem Pseudonym Moppin steckender Schöpfer aus Japan kommt. Fortan begleitet Ferrero ihn immer wieder bei Game Jams, über Conventions oder zum Picotachi. Branching Paths erfasst die Geburt der japanischen Indieszene und vielleicht ist Moppin ihr erster Star, das dringend benötigte Vorbild für eine neue Generation japanischer Spieleentwickler_innen.

Weniger melodramatisch als das amerikanische Vorbild Indie Game: The Movie wirft diese Dokumentation einen Blick auf Spiele, die ansonsten unbeachtet untergehen – besonders im Westen. Und auch wenn manchmal ein größerer Kontext japanischer Verhältnisse zur besseren Einordnung fehlt, ist Branching Paths doch ein rundum gelungener Film, dem es hoffentlich gelingt, die nötige Sichtbarkeit zu schaffen, die den J-Indies bisher so oft verwehrt bleibt. Ein Blick, den Ferrero in ihrer Webserie toco toco tv übrigens noch weiter vertieft.

Für Fans von: Indie Game: The Movie / Downwell / Untertiteln