Irgendwas mit Michael Bay und Need for Speed

Need for Speed: The Run

Vergangene Woche Freitag gegen 19 Uhr fand ich mich in einem großen Kölner Elektronikfachhandel wieder. Mir war unglaublich warm. Dies ließ sich möglicherweise auf meinen dicken Schal und langen Mantel zurückführen, vielleicht aber auch auf die zahlreichen potentiellen Kunden, die sich durch die überfüllten Gänge quetschten und im Feierabendrummel unbedingt noch einen Samsung UE456CEplus 46″-3D-LED-HD-TV mit entspiegeltem True-Color-Ultra-Contrast-Ambilight-Panel inklusive 9.1-Dolby-True-Quadruppelspeaker-Sourround-Sound-System nach Hause schleppen müssen. Es ist ja immerhin bald Weihnachten.

Eine Rolltreppe führte mich in das Untergeschoss, unter die Erde, dorthin, wo für die Kellerkinder die Unterhaltungselektronik mit den dazugehörigen Datenträgern aufbewahrt wurde. Ich wollte meinen freien Abend endlich mal wieder mit einer alten Freundin verbringen, meiner Xbox360, ich brauchte entsprechende Software.

Es dauerte eine Weile, bis ich das Regal mit den Objekten meiner Begierde ausfindig gemacht hatte — versteckte sich dieses doch hinter einem einschüchternden Turm aus feinsäuberlich gestapelten Call of Duty: Modern Warfare 3 Verpackungen, um den eine Traube weniger einschüchternder Jugendlicher stand.

Ich hatte keinen blassen Schimmer, was ich mir eigentlich kaufen sollte, obwohl die Anzahl der Neuerscheinungen trübe Tropfen der Lust auf den Geschlechtsapparat eines jeden Konsumenten zauberten. Zumindest wenn ich das Gefasel meine Twitter-Timeline als Indikator verwende. Doch mich sprach nichts an. Warum sollte ich für den Müll Geld ausgeben? Ich hätte den Laufwerks-Flash auf meiner Konsole erneuern lassen sollen. Dann säße ich jetzt zu Hause, würde meine DSL-Leitung belasten und mich im Nachhinein nicht darüber ärgern, mein Erspartes für wertloses Plastik ausgegeben zu haben.

Ich hasste mich jetzt schon dafür, meine wertvolle Zeit in diesem stinkenden Konsumtempel zu verschwenden. Also wollte ich es möglichst schnell hinter mich bringen. Mein Blick schweifte über die Spieletitel. Skyrim. Scheinbar ist ja aktuell die halbe Welt damit beschäftigt durch öde Schneewelten zu stampfen und Drachen zu töten. Oder Schmetterlinge, Blumen und Kohlköpfe zu sammeln. Wie gut, dass mich Rollenspiele noch nie interessiert haben.

Skyrim

Ich könnte mir natürlich auch Assassins Creed kaufen und den Rückweg damit verbringen, darüber nachzudenken, ob es sich bei dem gekauften Produkt um den zweiten, dritten oder vierten Teil der Reihe handelt oder ob ich in die Franchise-Falle getappt bin und nur einen überteuerten Spin-Off der Serie erstanden habe, bei der man mit Giovanni, dem Schwippschwager Enzios, zum erfolgreichsten Pizzalieferanten von Albano, einem Vorort Roms aufsteigen muss.

Alternativ könnte ich mich nackt, nur mit einem Gummidildo bewaffnet, durch schlecht gestaltete Gegnerscharen kloppen und darauf hoffen, dass drittklassiger Humor ausreicht, um mich mehrere Stunden zu unterhalten.

Doch im Schatten des Call-of-Duty-Turms lag noch eine weitere Neuerscheinung. Need for Speed: The Run. Die achtzehnte Ausgabe der Rennspielserie hatte einen entscheidenden Vorteil gegenüber der Konkurrenz. Sie war 5€ billiger.

Need for Speed: The Run

Natürlich war ich mir dem Risiko bewusst. Schon während der Bahnfahrt nach Hause stellte ich mich auf die drohende Enttäuschung, die Wut, die lange Trauer und die damit verbundene Rehabilitation ein, die ein solcher Artikel bei mir auslösen könnte. Immerhin habe ich gerade Geld für einen Titel ausgegeben, der schon seit Jahren mit starken Qualitätsschwankungen und dem übel riechendem Odeur des Kommerz zu kämpfen hat. Tatsächlich ist es lange her, dass ein NfS-Teil Presse und Publikum gleichermaßen begeistern konnte. Wenn man aktuellen Durchschnittswertungen trauen kann zählt Most Wanted (2005) und vielleicht noch NfS: Porsche (2000) zu den wirklichen Perlen der Reihe. Die Erwartungen an Black Box, dem aktuellen NfS-Hauptentwicklerteam waren dementsprechend hoch. Immerhin gewährte EA seinen Sklaven etwas mehr Zeit als in der Vergangenheit und schloss die Lücke mit anderen Studios, um dem jährlichen Veröffentlichungszyklus treu zu bleiben.

Aber wen interessiert das? Es wird doch eh gekauft. Jährlicher Veröffentlichungszyklus. Jährlicher! Und um genau zu sein, wurde dieser Zyklus sogar noch verkürzt. Zwischen 2009 und 2011 sind alleine sechs Need for Speed Bastarde in die Verkaufsregale und über die Ladentheke gewandert. Wer braucht so viele Rennspiele? Es konnte mir eigentlich vollkommen egal sein, ob ich mir gerade die letzte Gurke oder den heißesten Scheiß™ gekauft habe, die Marketingmaschine wird schon dafür sorgen, dass ich mir auch die nächsten Installationen der Reihe anschauen werde, vorausgesetzt ich besitze die entsprechende Veranlagung.

Diese Rennspiel-Veranlagung. Ich besitze allerdings die Warmduscher-Rennspiel-Veranlagung. In Fachkreisen auch “Arcade-Racer” genannt. Mich stimulieren Racer, bei denen ich nicht lenken brauch, bei der die Leitplanke mir den Weg weist. Bei denen es egal ist, ob ich Porsche, Ferrari, Polo oder Trabbi fahre, dank Nitroupgrade und Gummiband-KI sind alle Wagen eh gleich schnell. Und steuern sich gleich. Oder steuern sich eben nicht, das ist Auslegungssache.

Need for Speed: The Run

Ich sollte mir stattdessen viel mehr Gedanken über meine Mitmenschen machen, vorzüglich über die unter 18 Jahren, die neben mir in der Bahn stehen und verräterisch auf meine kleine Einkaufstüte mit Elektronikfachmarkt-Logo starren. Die wissen ganz genau was da drin ist. Kennt ihr das? Manchmal habe ich Angst, mit einer frisch gekauften DVD oder einem gerade erstandenem Videospiel durch die Kölner Innenstadt zu gehen. ZACK, ist mein neu erworbenes Gut weg. Ich könnte diese Angst als Begründung dafür angeben, warum ich Raubkopierer bin, aber das wäre etwas plump.

Zumindest fand ich mich dann irgendwann in meinem Bett wieder, 500g Triolade links von mir, zwei Liter Cola rechts von mir, Controller in den Händen, abgestützt auf meinem Bierbauch, der gar kein Bierbauch ist, da ich kein Bier trinke, Flimmerkiste vor mir, alles eklig und abstoßend. Zockerabend allein zu Haus halt.

Beim Öffnen der Hülle flatterte mir schon so ein kleiner, auf minderwertigem Papier gedruckter Zettel entgegen. GIB DIESEN KOT EIN UND DU ERHÄLTST 5 SUPERAUTOS UND 13 SUPERGEHEIMSPECIAL CHALLENGES. HIER DER CODE HWF$-§$%&-F/$)-ZF)W/-fjhuwo43-q89wrtgdshfg

Ja, ganz großartig, natürlich gebe ich Opfer den Mist auch noch ein und verbringe so die erste halbe Stunde damit, irgendeinen Content freizuschalten, den ich im gesamten Spielverlauf nie nutzen werde. DLCs sind sowieso der Abschaum der modernen Spieleindustrie. Ich will nicht durch eine Spielwelt laufen und dann folgenden Hinweis bekommen: “Bitte schalten Sie dieses Gebiet/Wagen/Mission/Karte/Gegner/Fickpartner über einen Kauf des XYZ-Pakets für 1300 Microsoft-Points frei.” DANKE, DASS DU MICH AUS DIESER WUNDERBAREN WELT, AUS DIESEM SINNESZUSTAND, GERISSEN HAST UND MIR NOCH MAL VOR AUGEN HÄLTST, DASS IHR NUR MEIN GELD WOLLT. Aber ich schweife ab.

Need for Speed: The Run

Irgendwann war dann auch der letzte Ford Mustang Coupé Prototyp ZZRX100 freigeschaltet und die Software leitete mich zum nächsten Schritt weiter, in der sie freundlich um die Eingabe meiner Mail-Adresse und sonstiger Daten fragte, damit für mich ein Profil bei Autolog, EA und voraussichtlich 14 anderen Services erstellt werden kann. Origin, Steam, Facebook, was auch immer. Ist mir egal. Nehmt meine Daten. Beschießt mich mit personalisierter Werbung. Mir geht nur immer der ganze Shitstorm auf die Klötze, der dann in irgendwelchen Timelines auf mich einrieselt, weil das Internet zum Großteil aus Idioten besteht.

Nora möchte mit dir befreundet sein. Ich war mit Nora in der Schule, habe sie danach nie wieder gesehen, mir ist Nora egal, aber natürlich akzeptiere ich, weil ich dumm bin, weil ich den Scheiß mitmache, weil Freunde und Fans ja so etwas wie eine Währung sind, die aber eigentlich keinen Wert hat. Und schon geht es los. Nora geht zur GangBangParty. Nora hat ein Fotoalbum hochgeladen. Nora gefällt Two & A Half Men. Nora hat dich zur GangBangParty eingeladen. Nora hat deinen Pinnwandeintrag kommentiert: “Das ist aber lustig, hihi ;-)”. Noras Freundin hat deinen Pinnwandeintrag kommentiert. Nora geht dir gehörig auf den Sack. NORAHALTDIEFRESSE.

Doch zu dem Thema kann man einen ganzen Artikel schreiben, und über die Rolle, die man einnimmt, weil man sich drüber echauffiert, und eigentlich steckt man doch mittendrin, deswegen klicke ich einfach auf Start und schalte mein Hirn aus.

Need for Speed: The Run

Need for Speed: The Run jagt mich durch Städte, zahlreiche verschiedene Landschaften, über Bergpässe, an Obstgärten vorbei, vor Helikoptern her, über Highways, durch die Rockies, ins Death Vally und durch zahlreiche andere Szenerien. Die Kamera zoomt dynamisch, die Autos fühlen sich schwer, mächtig und massiv an und trotzdem widme ich dem Spiel meine gesamte Konzentration, denn nur eine kleine Unachtsamkeit lässt meinen Shelby GT500 an einem Hindernis zerschellen als wäre er aus feinem Glas. Mein Puls ist hoch, meine Anspannung sorgt für einen festen Griff um den Controller, Nahrungsmittel bleiben beinahe unangetastet, nur die belanglosen Zwischensequenzen lassen mich kurz zur Ruhe kommen. Was The Run abfeuert, befriedigt mein stumpfes, nach Action, Abwechslung und Adrenalin geiferndes Stammhirn wie kein anderes Rennspiel. Dass Michael Bay den offiziellen TV-Spot zu The Run inszeniert hat, passt nicht nur aus den offensichtlichen Gründen.

Michael Bay ist ein schlechter Regisseur. Zumindest sagen das immer die Leute, die auch sagen, sie hätten Ahnung von Film. Tatsächlich halte ich Transformers 3 für den besten schlechten Film, der bisher produziert wurde. Wenn man die von Bay verwendeten Bildtechniken genauer analysiert, zeigen sich starke Parallelen zur Bildsprache von The Run, Battlefield 3 und wahrscheinlich allen kommenden Spielen, die auf der Frostbite 2 Engine basieren, auf. Tatsächlich kommt es mir so vor, als hätten sich die Entwickler stark von der “Bayischen Bildsprache” inspirieren lassen. Die starken, extrem überzogenen Lensflare-Effekte, die ständigen Spiegelungen von Dreck und Flüssigkeiten auf der imaginären Kameralinse, der inflationäre Gebrauch von Lichteffekten, das übersättigte Farbspiel, die Dynamik der Kamera.

Und genau so, wie mich die letzten Bay-Filme befriedigt haben, erfüllt auch The Run bei mir seinen Zweck. Ich halte diesen Teil für den besten der ganzen NfS-Reihe. Vielleicht liegt es daran, dass ich einfach verblödet, abgestumpft, schnell zu befriedigen bin. Ein bisschen Peng da, ein wenig Bumm hier, Explosionen, Titten, alles gut. Vielleicht wäre Saints Row 3 doch gar nicht so scheiße gewesen.

Mir gefällt sogar die vorhersehbare KI, die geskripteten Events, das Checkpoint-System, die enge Streckenführung, das schnelle Ende, wenn ich gegen einen harmlos erscheinenden Laternenpfahl donner. Ich mag den Minimalismus, die fehlenden Features, dass ich mein Auto nur an wenigen Stellen wechseln kann, die kurze, aber intensive Fahrt. Vielleicht gehöre ich mittlerweile auch zur Facebook-Generation. Schnelle Kost, kurze Aufmerksamkeit, bitte casual und nur lauwarm. Irgendwo hab ich hier noch Dark Souls rumfliegen, dann beweis ich mir das Gegenteil, oder ich krame meinen SNES raus, such mir so eine richtige Herausforderung. Aber alte Spiele sind eh scheiße. Guckt euch den Müll doch an, mit dem wir uns früher abgegeben haben: Mario kann mich mal und Zelda ist ne Schwuchtel. Oh mein Gott, jetzt ist es passiert, ich bin nicht mehr hardcore, nicht mehr true, weichgespült, Zynga ich komme, wo ist mein iOS-Device?