Resonance
Spätestens seit dem atmosphärischen Noir-Thriller Gemini Rue (aber eigentlich schon seit der wundervollen Blackwell-Reihe) gehören die Entwickler und Publisher Wadjet Eye zu den Vorreitern moderner Adventures. Nach über fünf Jahren Entwicklungszeit in Zusammenarbeit mit xii games präsentieren die beiden Gründer/Ehepartner Janet und Dave Gilbert ihr bisheriges Meisterwerk: Resonance — eine komplexe Detektivgeschichte mit mehreren spielbaren Charakteren, anspruchsvollen Rätseln und dem genialen Bastion-Sprecher Logan Cunningham in der Hauptrolle. Es ist das Projekt, mit dem Wadjet Eye zu einem der wichtigsten modernen Adventure-Studios werden wollen — sie aber gleichzeitig gnadenlos scheitern lassen könnte.
Das Fenster, das mich völlig gebannt gefangen hält und die Tweets, die Chats, die Mails im Hintergrund vergessen lässt, misst nur 640×480 Pixel. Ärztin Anna ist auf der Flucht vor einem Unbekannten. Auf dem Dach ihres Apartmenthauses benutzt sie die Glasscherbe mit dem Draht, um ein Kabel zu durchtrennen, das eine Feuerleiter hält und somit ihren Verfolger von ihr abschneidet. Ich säge um Annas Leben.
Anna ist nur einer von vier spielbaren Charakteren, die versuchen, lebend durch die Verschwörungsgeschichte von Resonance zu kommen. Neben der Ärztin gibt es noch den technisch versierten Journalisten und Fefe-Verschnitt Ray, den schüchternen Physiker Ed und den desillusionierten Cop Bennet, die zuerst jeweils ihre eigenen kurzen Geschichten erleben, bis Resonance die Figuren zusammenführt und auf die Jagd nach einem Geheimlabor schickt.
Die Rätsel sind vielschichtig und abwechslungsreich. Neben den erwähnten Überlebenskämpfen müssen Gesprächspartner überzeugt, Computersysteme begriffen und geheime Nachrichten im FEZ-Stil entziffert werden. In den meisten Fällen kombiniert Resonance die unterschiedlichen Puzzle-Ansätze zu einer cleveren Mischung, etwa wenn Anna einen Polizisten mit Smalltalk ablenkt, damit sich Ray in der Zwischenzeit vorbeischleichen kann, um einen Polizeicomputer zu hacken.
Ein zentraler Teil ist dabei das Erinnerungssystem aus Langzeit- und Kurzzeitgedächtnis. Jedes Objekt im Spiel, jede Figur, jedes Rätsel kann im Kurzzeitgedächtnis wie ein Gegenstand im Inventar abgelegt werden. Im Langzeitgedächtnis landen dagegen automatisch übergreifende Ziele. In Gesprächen können dann andere Figuren auf diese Erinnerungen angesprochen werden. Das zwingt zum Umdenken. Wo andere Adventures Dialoge meist automatisch mit passenden Fragen und Antworten befüllen, werden auch Gespräche in Resonance zu Rätseln. Welche Figur im Spiel könnte etwas über das Passwort zum Polizeiarchiv wissen? Welches Gesprächsthema wird die Sekrätarin vom Arbeitsplatz verscheuchen?
Wie kaum ein anderes Adventure versteht es Resonance, Spannung aufzubauen. Es ist ein Thriller in Adventure-Form, das der gemächlichen Gegenstandssammlerei und Kombiniererei aus klassischen Spielen wie Monkey Island fesselnde Überlebenskämpfe und komplexe, mehrstufige Rätsel entgegensetzt. Resonance ist ein fantastisches, modernes Adventure, das immer klarmacht, was auf dem Spiel steht und was als nächstes passieren muss — zumindest bis zum Ende des ersten von drei Akten.
Dann erweitern Wadjet Eye die in sich abgeschlossenen kurzen Szenen um eine Stadt mit unterschiedlichen Orten und lassen Spieler im Dunkeln stehen. Die klaren Ziele des vorherigen Kapitels weichen übergreifenden Aufgaben, die non-lineare Lösungswege andeuten, sich aber tatsächlich nur in einer richtigen Reihenfolge lösen lassen können. Das Erinnerungssystem wird bei einer Stadt voll mit “erinnerbaren” Objekten und Figuren überwältigend, zumal sich eine Erinnerung an eine verschlossene Tür nicht wie ein Schraubenzieher leicht von Figur zu Figur übertragen lässt und sich in vielen Situationen eher als Hindernis denn als Bereicherung heraustellt. Das Resultat war bei mir komplette Überforderung im zweiten Akt — nach einem unglaublich motivierenden Anfang. Einige Emails mit Entwickler Dave Gilbert und eine Komplettlösung von Janet Gilbert später, konnte ich weiterspielen. Und es war gut, so verdammt gut.
Resonance endet wie es angefangen hat: Spannend, clever, mutig, komplex und mit genialen Impulsen für das gesamte Adventure-Genre. Nur in der Mitte lässt es den Spieler hemmungslos hängen. Es ist nicht leicht, nach einem solchen Fehler wieder begeistern zu können. Dass Resonance das nicht nur versucht, sondern darin auch erfolgreich ist, spricht ungemein für die Arbeit, die in dieses Spiel geflossen ist.