Ein guter Tag zum Sterben: Die Frage ist nicht ob Hunger,
Kälte oder Wölfe dich dahinraffen, sondern wann.
Alles was ich um mich herum sehen kann, ist weiß. Blauer Himmel. Ich stehe im tiefen Schnee. Mir wird kalt. Ich stapfe los. Ohne Orientierung, ohne Ziel. Ich weiß nur eines: Wenn ich stehen bleibe, werde ich sterben.
The Long Dark ist ein Spiel ums Überleben. “Survival” ist ein Genre, dass sich spätestens seit der anarchischen Zombie-Apokalypse in Day Z großer Beliebtheit erfreut: Rust, The Forest und unzählige andere lassen sich in den Listen der beliebtesten Spiele auf Steam finden, nahezu endlos scheint die Zahl der “Let’s Play”-Videos auf YouTube. Selbst große Publisher bedienen sich mit Titeln wie Alien: Isolation mittlerweile der selben, einfachen Formel aus dem Sammeln knapper Ressourcen und dem ständigen Überlebenskampf und öffnen das populäre Genre damit endgültig für den Mainstream.
Langsam kämpfe mich einen Hügel hinauf, um mir einen Überblick zu verschaffen. Zwischen den steilen Felswänden des Gebirges erstreckt sich ein dichter Wald. Schwarze Baumstämme. Ein gefrorener Bach. Ein See, zwischen Bergen versteckt.
Die Landschaft von The Long Dark ist im Sinne des Wortes malerisch. Der Himmel wirkt wie ein Aquarell: Kristallklar und blau, wenn er an einem ruhigen Nachmittag über den Wäldern und Bergen hängt, grell und gelb, als würde der Horizont brennen, wenn die Sonne Abends untergeht. Alles ist mit einem Filter überlegt, ein wenig verschwommen und leuchtend, eine Vignette erinnert an alte Fotos. Es steckt eine gewisse Poesie in diesem Kontrast, in der kitschigen Landschaft und den melodramatischen Sonnenuntergängen. Die Umgebung ist tatsächlich zum Sterben schön – sie ist der ständig umgebende Feind. Diese Schönheit erfordert allerdings einiges an Rechenleistung. Auf meinem betagten MacBook Pro reicht es nur für die mittlere Qualitäts-Stufe, mit der die vielen Schichten an Effekten verloren gehen.
Aus der Ferne höre ich ein unheimliches Heulen, das zwischen den Bäumen hallt. Unmöglich, die genaue Richtung zu bestimmen. Ich setze meinen Marsch fort. Vorsichtig. Ich komme über eine Böschung und sehe meinen ersten Wolf. Er ist über ein Reh gebeugt. Meine Gelegenheit, mich vorbeizuschleichen.
Was The Long Dark von den meisten anderen Survival-Spielen abhebt, ist kein neues Spielelement, sondern der Verzicht auf eine Gemeinsamkeit: Es gibt keine Monster. Nach einem elektromagnetischen Sturm sind sämtliche elektrischen Geräte auf der Erde zerstört und die Spielfigur ist inmitten einer nordamerikanischen Schneewüste auf sich allein gestellt. Dieses Szenario allein reicht aus. Der einzige Gegner ist die Natur und ihr Zehren am eigenen Körper – Kälte, Hunger, Erschöpfung.
Mitten in einem kleinen Tal entdecke ich eine Hütte. Der Schornstein qualmt. Die Erleichterung dieses Anblicks gibt mir die Kraft, die letzten Meter zu überwinden.
Es gibt eine klare Unterscheidung zwischen dem Draußen und dem Drinnen. Gebäude sind abgegrenzte Bereiche und überlebenswichtige Schutzräume vor Kälte, Dunkelheit und den Wölfen. Die meisten Hütten sind zumindest auch mit einem Ofen und einem Bett ausgestattet und bieten vorübergehend ein sicheres Lager. Jedes Gebäude bietet dringend benötigte Ressourcen: Nahrung, Kleidung, Medikamente. Aber die Vorräte sind schnell geplündert und die einzige Option ist, die scheinbar sichere Zuflucht wieder zu verlassen – in der Hoffnung eine neue zu finden.
Der ständige Überlebenskampf fordert seinen Tribut. Kalorien werden verbrannt, Entzündungen breiten sich aus, Werkzeug und Kleidung nutzen sich ab. Dieser ständige Zerfall von Körper und Material ist schnell und so gibt es kaum Momente zum Zurücklehnen – irgendwas ist immer.
Die Sprachausgabe kommentiert jeden neuen Fund mit “this could be useful”. Es ist diese Unsicherheit, die Überlebenden das Genick brechen kann. In der Unsicherheit, was noch kommt, wird jedes Fundstück gehortet – vom als Feuerholz nutzbaren Stuhlbein bis zum wenig gehaltvollen Soda-Drink. Das immer schwerer werdende Inventar, das eigentlich das Überleben sichern soll, beschleunigt die körperliche Erschöpfung und wer sich plötzlich den Knöchel verstaucht, hat keine Zeit mehr, sein Hab und Gut zu sortieren – den letzten fressen die Wölfe. Das Ressourcenmanagement ist ein ständiges Abwägen: Was nehme ich mit, was lasse ich liegen, was kann ich vielleicht später abholen?
Ich stoße auf eine Reihe kleiner Ferienhäuser. Auf dem gefrorenen See befinden sich einige Anglerhütten. Menschen kamen an diesen Ort, um ihrem Alltag zu entfliehen. Um die Schönheit der Natur zu genießen. Die Zeit mit dem Fischen zu vertreiben. An den Wänden der Hütten türmt sich der Schnee. Diese Zeit wird bald vergessen sein.
Die Wildnis in The Long Dark ist nicht zufällig generiert, sondern mit viel Sorgfalt gestaltet. Zwischen den Wäldern und Flüssen gibt es immer wieder Orte mit klarem Wiedererkennungswert. Jede Erkundungstour folgt ihrer eigenen Dramaturgie. Die umgestürzten Zugwaggongs bieten Schutz vor einem plötzlich aufziehenden Schneesturm, während das am Ende einer Schlucht gelegene Kraftwerk einee Todesfalle ist wenn es von einem Rudel Wölfe umzingelt wird. Bei jedem Durchlauf wird die selbe Welt erkundet, aber es dauert einige Zeit, bis im Kopf eine verlässliche Karte entsteht. All zu lang dauern die Partien selten, aber das ist eher eine Stärke: The Long Dark spielt sich schneller als es sich anfühlt und ist zugänglicher als viele andere Survival-Trips. Irgendwann schränkt das sicher den Wiederpsielwert ein, bis es so weit ist profitiert das Spiel von der realistisch wirkenden Welt, die mit jedem Tod nur noch vertrauter wird.
Der Tod gehört zu The Long Dark – schließlich liegt es schon im Titel. Die lange Dunkelheit bezieht sich auf den Stromausfall, aber auch auf die Dunkelheit, die die Spielfigur umhüllt, wenn die Kälte am Ende doch gewinnt. Es dauerte einige Zeit, bis ich das erste Achievement “5 Tage überleben” freigespielt hatte. Das Überleben ist vor allem ein Lernprozess, der mit jedem neuen Versuch erfolgreicher wird.
The Long Dark ist noch in der Entwicklung und jedes der großen Updates hat Kritikpunkte reduziert. Die Menüs werden komfortabler, die Möglichkeiten zum Überleben mehr und ein zweites, großes Areal kam hinzu. Außerdem wird es noch eine Story-Variante geben. Im Kern ist The Long Dark aber noch immer der gleiche, unerbitterliche Überlebenskampf, das es in der ersten Version bereits war.
Auch ohne den Story-Modus erzählt The Long Dark mit jedem noch so kurzen Durchlauf eine Geschichte vom Überleben in einer feindlichen Umgebung. Eine vom Kampf zwischen Mensch und Natur, den die Natur immer gewinnt. Die leeren Häuser verschwinden langsam unter dem Schnee, die hinterlassenen Ressourcen werden mit jedem Tag knapper bis letztendlich nur noch der Schnee übrig bleibt.
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